„Diese Arbeit ist nicht zu schaffen“Über eine Minute mit einem Paketboten in Berlin
27.9.2017 • Gesellschaft – Text: Ji-Hun KimSofortlieferung, Same Day Delivery, drei Bananen und eine Dose Thunfisch per Amazon Fresh – E-Commerce hat unseren Konsum maßgeblich verändert – und vermeintlich verbessert. Wer allerdings mal kurz mit einem Paketboten spricht, wird schnell merken, dass der eigentliche Preis ein ziemlich hoher ist.
Ich habe gestern kurz mit einem Paketboten gesprochen. Ein ansonsten immer freundlicher, fitter und netter Mann, der allerdings bereits am frühen Nachmittag völlig ausgelaugt und ausgesprochen fertig wirkte. Ich musste fragen: „Wie geht es Ihnen? Es wird mit den Paketen immer schlimmer, oder?“ Bei der Aussprache des Gedachten fühlte ich mich schon schlecht. Und dann brach es aus ihm heraus: „Es geht nicht mehr. Diese Arbeit ist nicht zu schaffen! Ich bin so fertig.“ Der Bote sprach dabei gar nicht mit Wut sondern mit Trauer. Seine Augenringe hingen bleiern. Es klang wie ein Hilfeschrei. Verzweiflung. Feuchte Augen. „Sehen Sie dieses Paket?“, er zeigte auf einen braunen Karton inmitten seiner Jenga-Sackkarre. „Nur weil der Empfänger mal wieder nicht zu Hause ist, und die Lieferung nicht pünktlich abgeliefert werden kann, muss ich aus eigener Tasche Strafe zahlen. 15-25 Euro pro Paket.“ Ich entgegnete baff: „Sie sind festangestellt und das wird pro Paket von ihrem Lohn abgezogen?“
Er nickte voller Scham und meinte, dass er mittlerweile Pakete selber abzeichnen würde, damit die Vorgaben nicht vollends unerfüllt blieben. Mittlerweile müssen Paketboten pro Schicht in Berlin bis zu 230 Pakete ausliefern. Vor wenigen Jahren waren es noch um die 150 (was auch schon nicht zu schaffen war). Bei einem geschätzten Lohn von 10 bis maximal 15 Euro die Stunde – was bleibt nach acht Stunden harter Arbeit, wenn auch nur fünf Prozent der Pakete ihren Empfänger nicht erreichen? Es reicht ein Stau in der Stadt und die ganze Schicht kann vergessen werden. Eine ausbeuterische Rechnung. Der Paketbote zog entnervt weiter, die Arbeit rief, meinte noch, lange würde es so nicht weiter gehen. Er hätte bestimmt gerne weiter mit mir gesprochen. Mit mir einen Kaffee getrunken, eine Zigarette geraucht. Auch weil er sich vielleicht freute, dass sich überhaupt mal jemand für seine Arbeitsverhältnisse interessiert.
Die Selbstverständlichkeiten und Bequemlichkeiten, die E-Commerce-Riesen wie Amazon, Zalando und Co. uns heute vermitteln wollen, werden auf dem Rücken jener Menschen ausgetragen, die eigentlich gerne ihre Arbeit machen würden, nur lassen die Umstände es nicht zu. Man kann es nicht anders sagen: Es ist dramatisch und menschenunwürdig. Unsereins meint schimpfen zu dürfen, wenn man wieder an der Postfiliale anstehen muss oder das Amazon-Prime-Paket nicht pünktlich ankommt. Das mit den Konventionalstrafen war mir neu, dürfte aber bei anderen Dienstleistern, die zudem auch noch mit scheinselbstständigen Subunternehmern arbeiten, nicht anders sein. Dabei gibt es doch gerade in einer Großstadt wie Berlin eigentlich so gut wie alles vor der Haustür. Es ist daher nicht nur faul, sondern auch arrogant, sich Blumenerde, Kloreiniger, Batterien, Glühbirnen, ein einzelnes H&M-T-Shirt und jeden anderen Killefitt in Einzelbestellungen herrschaftlich anschleppen zu lassen, während man gerade im Büro vor Facebook sitzt und denkt: „Wird schon beim Nachbarn ankommen.“ Ist es nicht sogar einfacher und besser, vorher ein Kleidungsstück zu probieren, es anzufassen, um auch zu wissen, dass es einem gefällt und zu einem passt, statt sieben Teile zu bestellen und den überforderten Logistikfluss auch noch unnötig mit Gratis-Retouren zu verstopfen?
Ich habe solche Gespräche einige Male schon mit Freunden geführt. Es heißt schnell, dass Amazon und Zalando daran schuld seien, dass die Arbeiter so ausgebeutet würden. Ja. Bestimmt. Aber würde deren Leben nicht auch erträglicher, wenn wir alle wieder nach der Arbeit einfach mal einen Stopp im Kaufhaus machten, um unsere notwendigen Kleinigkeiten und Kurzwaren zu besorgen? Und unter uns: Amazon, ASOS und Zalando haben genug Geld, mehr als genug. Drei, vier Bestellungen weniger, werden denen keine Probleme bereiten. Aber mal wieder den Einzelhandel unterdessen vor der Tür zu unterstützen. Mit Menschen zu tun zu haben, die mit ihrem Leben für ihre Produkte stehen. Am Ende beschweren wir uns alle, wenn der kleine türkische Elektroladen in Kreuzberg zumacht, der 30 Jahre lang vor Ort war. „Scheiß Gentrifizierung!“, wird dann beim Abendbier politikverdrossen gebrüllt. Dabei ist unser aller Konsumverhalten mitverantwortlich für diese Tendenzen und ich kenne nur wenige, die auf Packstationen zurückgreifen, welche die Arbeit der Logistikmitarbeiter um einiges vereinfachen dürften. Wieso sollte man auch 100 Meter laufen, wenn es doch daheim auf einen warten könnte. Es soll nicht darum gehen, gänzlich auf diese Dienstleistungen zu verzichten. Aber ein bisschen Demut darüber, was uns dieser „Fortschritt“ bringt, ein bisschen mehr Menschlichkeit beweisen und wissen, dass es keine Selbstverständlichkeit sein sollte, dass alles vor die Wohnungstür gebracht wird. Weniger verstopfte Straßen, weniger gestresste Menschen, ein faireres Miteinander. Dürfte doch alles nicht allzu schwer sein.