„Wir sind nicht einfach ein Catering-Unternehmen“Wie man Food-Entrepreneurin wird: Linda Lezius von „Wild And Root“
25.8.2016 • Leben & Stil – Interview: Jan-Peter WulfSelten, anders und irgendwie auch ein bisschen Underground: Supperclubs haben sich zu einer beliebten Alternative zum Restaurantbesuch normaler Art entwickelt. Meist stehen diese Food-Events unter einem speziellen Thema – zum Beispiel wird ein Gericht der Großmutter des Kochs des Abends serviert – und nicht immer, aber oft machen ihre Veranstalter (haupt)beruflich etwas ganz anderes.
Linda Lezius aus Berlin hat Textil- und Flächendesign an der Kunsthochschule in Weißensee studiert, auch das hat mit Essen und Trinken erst einmal wenig zu tun. Doch im Rahmen des Studiums gab es eine Exkursion in den Spreewald. Das wirtschaftliche Potential sollte analysiert werden. Im Spreewald gibt es, neben allerlei touristischem Angebot, auch noch viele private Heilkräutergärten. Bestückt mit zahlreichen Gewächsen, die fast in Vergessenheit geraten sind. (Wer kennt heute schon noch Borretsch?) Das bringe ich in die Großstadt, entschied Linda Lezius. Und weil Events besser sind als Kräuterkunde-Vorträge, wurde ein Supperclub draus: „Wild And Root“ will auf unterhaltsamem Wege für Lebensmittel vor der Haustür und aus der Region sensibilisieren. Und noch mehr: Die Gäste setzen sich nicht einfach nur hin und futtern, sondern schnippeln kräftig mit. Mittlerweile sind sogar Firmenevents aus der Idee geworden, bei der Chef und Praktikant gemeinsam den Gurkensalat anrichten. Manchmal muss man sein Gegenüber sogar füttern. Wie aus einer Flanerie im Kräutergarten ein florierendes Food-Business wurde: Jan-Peter Wulf hat sich mit Linda Lezius unterhalten.
Linda, was unterscheidet „Wild And Root“ von einem klassischen Firmen-Catering?
Mein Anspruch ist: Die Leute sollten davon etwas mit nach Hause nehmen. Wenn ich ganz normal bei einem Essen gehe, kann ich das oft nicht: Was war das eigentlich, was da so toll geschmeckt hat? Wenn man bei „Wild And Root“ eine Pastinake probiert hat, wie die eigentlich pur schmeckt, oder noch nie eine Schwarzwurzel gemacht hat, hat man vielleicht keine Scheu mehr, das auch mal zu Hause auszuprobieren. Oft besteht der erste Gang einfach aus Kräutern: Wie schmeckt Borretsch, wie fühlen sich die Kräuter an, vielleicht pelzig? Oder wir gießen eine Kräuter-Essenz auf und lassen die Leute erstmal daran riechen.
Diese Reduktion auf die verwendeten Zutaten aus der Region ist ja gerade ein großes Thema in Berlin. Restaurants wie das „Eins Unter Null“ arbeiten so, der junge Koch Dylan Watson, der den Supperclub „Ernst“ macht und bald ein Restaurant eröffnet, wird schon wie ein Star gefeiert und das „Nobelhart & Schmutzig“ hat für seine „brutal lokale“ Küche gleich einen Michelin-Stern bekommen.
Dort habe ich mal ein kleines Praktikum gemacht. Es war super spannend für mich, Einblicke in eine professionelle Küche zu bekommen.
Aber ist es nicht schon interessant, dass Dinge wie Grünkohl, Pastinaken, Rüben, plötzlich cool sind? Früher hat man lieber exotische Dinge gegessen. Wer weiß, vielleicht wird Bauer sein irgendwann hip.
Als ich nach Berlin kam, habe ich mich nicht damit gebrüstet, dass ich ein Landei bin (lacht). Ich bin auf dem Hof in einem 400-Einwohner-Dorf in der Lüneburger Heide aufgewachsen, meine Eltern haben viel Direktvermarktung gemacht. Ich habe Marmelade und Gurken eingekocht, mit 14 habe ich schon beim Gänseschlachten zu Weihnachten mitgeholfen, Rupfen, Ausnehmen. Überhaupt musste ich viel Verantwortung übernehmen. Das prägt einen. Und jetzt merke ich schon, dass eine große Neugier für Essen und Lebensmittel da ist: Jeder hat eine Meinung dazu.
„Ich kann eine geile Gemüsesuppe machen, ohne anzukündigen, dass sie vegan ist.“
Wie sieht deine Meinung dazu aus?
Ich bin weder vegan noch sonst irgendwas, mir geht es eher um die Erfahrung: Ich kann eine geile Gemüsesuppe machen, ohne anzukündigen, dass sie vegan ist. Essen soll Freude machen, der Verzicht sollte nicht im Vordergrund stehen, finde ich. Wenn die Hühner glücklich über den Hof rennen, kann ich guten Gewissens ein Ei essen.
Es geht ja eher locker auf deinen Veranstaltungen zu. Du baust auch Spielerisches ein: Würste, die von der Decke baumeln und die man sich abschneiden muss – das kenne ich noch von Kindergeburtstagen. Oder dass man sich gegenseitig füttert – da dachte ich persönlich als Gast im ersten Moment: Muss das jetzt sein? Doch dann war es sehr lustig.
Diese interaktiven Elemente sind wichtig. Die Leute haben oft eine große Distanz zu den Lebensmitteln. Wenn sie selbst das Dressing machen sollen, fragen sie mich: Ist das schon abgemessen? Wie viel muss da rein? Wie oft soll ich das durchschneiden? Ich sage dann: Probiert es aus, es liegt in euren Händen. Wenn ihr meint, das Dressing braucht mehr Schärfe, dann bitte! Manche sind geradezu begeistert, wenn sie den Gurkensalat alleine hinbekommen haben. Und er schmeckt dann auch besser (lacht).
Sieht ein Firmen- oder Teambuilding-Event von „Wild and Root“ ähnlich aus wie ein Supper Club?
Im Prinzip ja. Meistens gibt es vier Gänge, es fängt an mit irgendeiner Art von Salat. Der befindet sich in einer verschlossenen Holzkiste, die die Gäste erstmal aufschrauben müssen.
„Ich finde es schön, wenn es auch ein bisschen provokant ist.“
Und dann macht sich ein besonders eifrige Mitarbeiter gleich ans Werk macht.
Oft hast du tatsächlich ein, zwei Leute, die die Initiative ergreifen. Aber nicht immer. Die Bereitschaft, etwas Neues auszuprobieren und nicht einfach alles serviert zu bekommen, ist nicht immer gleich von Anfang an da bei den Teilnehmern. Einmal ist nach drei Minuten noch nichts passiert, keiner ist vorgetreten, um diese Kiste aufzuschrauben. Da habe ich dann einfach jemandem den Schraubenzieher in die Hand gedrückt: So. Raus aus der Komfortzone. Ich finde es schön, wenn es auch ein bisschen provokant ist – dadurch hinterfragt man Gewohnheiten. Ich war zum Beispiel mal für eine Tagung gebucht. Wir kamen da an, im ganzen Raum standen u-förmige Zweiertische wie in der Schule. Abschreckend. Wir haben erstmal alles umgestellt. Damit habe ich den Kunden glaube ich schon etwas vor den Kopf gestoßen, aber am Ende hat es mich besonders gefreut, ihn aus ihrer Routine rauszurütteln.
Du musst also schon etwas nachhelfen.
Ja. Beim ersten Gang muss ich immer etwas pushen und anleiten, dann kommt das immer mehr in Schwung und die Stimmung ändert sich. Die Freude wächst, selbst etwas zu machen. Die Leute reiben Gurken, reichen sich die Suppe, machen die Beilagen für den Hauptgang. Es geht darum, dass sie eine andere Perspektive erhalten, aus ihrem Alltag rauskommen und an diesem Abend auch eine andere Rolle einnehmen. Es ist spannend, wenn der Chef neben dem Praktikanten sitzt. Beim Essenmachen begegnet man sich anders. Die Themen, über die man spricht, sind andere.
Für welche Größen bietest du das an?
Für 12 bis 50 Leute.
Du arbeitest projektweise mit Personal. Wie organisierst du das?
Ich arbeite immer mit Köchen zusammen und sammle gerade viele Kontakte. Es ist spannend, die unterschiedliche Arbeit kennen zu lernen, wenn wir das Menü zusammen machen. Oft habe ich schon eine Idee der Farben und Texturen, der Koch bringt dann noch mal ganz andere Ideen ein.
Und Servicekräfte stellt die Location, die du für den Abend mietest?
Die stellen wir. Da die Gäste involviert werden und der Ablauf des Abends anders ist als bei einem normalen Dinner, ist es immer gut, Leute zu haben, die bereits mit dem Konzept vertraut sind.
Welchen Vorlauf brauchst du?
Je nach Größe. Am Wochenende hatte ich eine kleinere private Veranstaltung mit nur einer Woche Vorlauf, das geht dann auch schon mal. Aber wenn der Kunde besondere Wünsche hat – neulich war es ein Feuerwerk zum Dessert – dann sollte es schon etwas mehr sein. Zwei Tage vorher anfragen wird schwierig (lacht).
Wie kalkulierst du ein Event?
Am Anfang war es learning by doing. Ich habe mir viel Rat geholt, gerade bei der Kalkulation. Nach einer Weile hat man Erfahrung, welche Positionen man hat, Personal, Locationmiete, meine Leistung für die Ausarbeitung des Konzepts, den Wareneinsatz für zum Beispiel ein vegetarisches Viergangmenü für 30 Personen und so weiter. Es kommt auch auf den Kunden an. Ich habe feste Preise für Teambuilding-Events, wenn es – wie jetzt bei einer Anfrage für eine Weihnachtsfeier – performativ wird, das Dessert eine Food-Installation sein soll, und ich viel kreativen Freiraum habe, dann muss ich individuell kalkulieren. Am Ende möchte ich ja auch keine Massenabfertigung machen, ich komme nicht mit Chafis an. Die Weihnachtsfeier für 20 Euro pro Person ist nicht das Konzept von „Wild And Root“, weil man dann bei der Lebensmittelqualität einsparen müsste.
Viele buchen es ja sicher auch wegen des interaktiven Charakters.
Oft wird gar nicht genau nachgefragt, was es zum Beispiel als Vorspeise gibt. Und oft wissen die Kunden auch nicht genau, was sie erwartet. Ich schicke ihnen zwar vorher Bilder und erzähle, was ich vorhabe, aber so richtig vorstellen können sie es sich nicht.
Umso schöner, dass sie sich drauf einlassen, statt auf Nummer Sicher zu setzen. Wie ist das Feedback bislang?
Die Gäste sind überrascht und begeistert. Es ist schön, wenn das mit der Wertschätzung für Lebensmittel am Ende wirklich funktioniert, Gäste am Ende sogar nach Rezepten fragen und verstanden wurde: Wir sind eben nicht einfach irgendein Catering-Unternehmen.