Techno MilaneseInterview mit Hunter/Game über Ferien auf der Alm
11.5.2016 • Sounds – Interview & Fotos: Benedikt BentlerWie viel Gefühl in Techno stecken kann, stellen Hunter/Game aktuell mit ihrem Debüt-Album „Adaptation“ unter Beweis. Langsam und von angenehmer Melancholie dominiert, wird Spur auf Spur geschichtet, während die Bassline kompromisslos Techno transportiert. Im Gespräch erklären Martino Bertola und Emmanuele Nicosia, was hinter dem Konzept „Adaptation“ steht, warum Mailand doch nicht so teuer ist und weshalb sie die einzigen sind, die jemals eine Technoparty in einer Mailänder Kirche veranstalten durften.
Wer ist der Jäger und worum geht's in dem Spiel?
Emmanuele Nicosia: Es gibt keinen Jäger und kein Spiel.
Martino Bertola: Es gibt einen Track von Massive Attack, der heißt: „The Hunter Gets Captured By The Game“. Daraus ist dann irgendwie Hunter/Game geworden, zumal da auch das Motiv der Natur mit drin steckt. Das ist uns sehr wichtig.
Emmanuele Nicosia: Mailand liegt ja direkt an den Alpen. 90 Minuten und du bist mitten in den Bergen. Wir verbringen viel Zeit dort. Ein großer Teil unseres Albums hat dort auch seinen Ursprung. Wir haben da zwar kein richtiges Studio, aber die Entwürfe und das Konzept haben wir von dort mitgebracht.
Menschen aus Deutschland kennen Mailand eigentlich nur aus den Ferien oder dank der Fashion Shows. Was jeder sofort sagt: Diese Stadt ist sauteuer. Cola, sieben Euro.
Emmanuele Nicosia: Dem kann ich überhaupt nicht zustimmen. Letztendlich geht es darum, in welcher Gegend du wohnst, wo du essen gehst. Klar, Berlin ist ein wenig günstiger, dafür sind die Standards aber auch niedriger, beim Wohnen und beim Essen. In Mailand ist die Lebensqualität sehr hoch. Für zehn oder fünfzehn Euro bekommst du ausgezeichnetes Essen. Für zwanzig Euro kannst du in manchem Lokal besser essen, als in einem anderen für hundert. Die Stadt lebt zwar zu einem Teil von High Fashion – das merkt man –, aber diese Welt ist dann doch kleiner als man denkt.
Ihr habt in Mailand einige Partys an ungewöhnlichen Orten veranstaltet. Wie ist das abgelaufen?
Emmanuele Nicosia: Ich habe von 2004 an Clubs gemanaged und irgendwann gemerkt: Elektronische Musik bringt einen neuen Vibe in diese Stadt. Wir haben dann mit einer neuen Partyreihe in nicht kommerziellen Locations angefangen. Die erste fand in einer Kirche statt, wo Tale of Us und Shaun Reeves gespielt haben – aufstrebende Künstler damals. Dann haben wir Leute wie Seth Troxler nach Mailand geholt. Für die Stadt waren diese Künstler etwas völlig Neues. Wir beiden haben schließlich auch angefangen, auf diesen Events aufzulegen. Die Partys wurden größer und größer und wir haben das Konzept exportiert und die Reihe rund um den Globus fortgeführt. Nach vier Jahren kam dann aber der Punkt, an dem wir unser eigenes Label gründen und uns mehr aufs Musikmachen konzentrieren wollten.
War es schwierig in einer Stadt wie Mailand an diese besonderen Locations zu kommen? Mailand war ja nie dieser urbane Spielplatz voller Brachen, wie es Berlin einmal war. Und ihr wart die ersten, die dort eine Techno-Party in einer Kirche gemacht haben.
Emmanuele Nicosia: Ich hatte da Beziehungen von früher. Und wir waren nicht nur die ersten, die dort eine Party veranstaltet haben, sondern auch die letzten! Danach hieß es von den Leuten der Kirche: Nie wieder (lacht)! Aber diese Location hat unsere Partys von Anfang an besonders gemacht. Und wenn du dir das auf Youtube ansiehst: Wow! Ein unglaublicher Ort. Gemälde aus dem 15. Jahrhundert und dazu Techno. Es war ein Riesenerfolg.
Martino Bertola: Wir wollten dann jedes Mal eine andere Location.
Emmanuele Nicosia: Was auf jeden Fall schwierig war, denn natürlich war das nicht legal. Aber zu der Zeit war das auch in Mailand noch möglich. Die Politik war da etwas nachlässiger, sodass wir dank guter Kontakte immer wieder verlassene Areale finden konnten. Dadurch waren unsere Partys dann nicht nur hinsichtlich der Musik, sondern auch hinsichtlich der Location einzigartig. Nach ein paar Jahren hat die Polizei angefangen, das zu unterbinden. Wir dachten uns dann: Ok, wir sind keine Teenager mehr, geben wir dem Ganzen einen legalen Rahmen. Wir haben dann ein paar Clubs gefunden und dort weitergemacht.
Ihr sagt, der Grundstein eures Albums, das Konzept, sei in den Alpen entstanden. Habt ihr einfach den Vibe dort aufgenommen oder könnt ihr genau sagen: Dieser Track klingt so und so weil ...
Emmanuele Nicosia: Es ist schon diese Stimmung als Ganzes, die da drin steckt. Gänzlich ohne den Stress einer Tour oder die Einflüsse anderer Musik. Es ist einfach unser Album.
Martino Bertola: Es geht vor allem um den Prozess, den Menschen durchlaufen, wenn sie sich an ihre Umwelt anpassen müssen, an die Gegebenheiten der modernen Gesellschaft. Wir waren in den Alpen und haben diese Stimmung, die Natur, in Musik übersetzt.
Emmanuele Nicosia: Der Mensch kommt ja aus der Wildnis, mittlerweile ist aber der urbane Raum das Zentrum gesellschaftlichen Lebens. Diese Reise haben wir im Prinzip für das Album auch gemacht: Als wir dann nämlich nach ein paar Wochen in den Bergen zurück in die Stadt gekommen sind, war gerade Ferienzeit und es herrschte ziemliche Leere. Man konnte in den darauffolgenden Wochen sehen und spüren, wie die Menschen zurückgekommen sind und diesen Raum wieder für sich vereinnahmt haben. Da haben wir wirklich verstanden, dass der Mensch sich den Gegebenheiten der modernen Welt anpasst.
Ihr habt aber nicht euer gesamtes Equipment mit in die Berge geschleppt?
Emmanuele Nicosia: Nein, dort sind vor allem Entwürfe entstanden.
Martino Bertola: Unsere Musik ist analog aufgenommen, dafür braucht es schon ein gut ausgestattetes Studio.
Emmanuele Nicosia: Wir sind also nach unseren „Ferien“ mit einer klaren Vorstellung des Albums ins Studio gegangen. Diese Vorstellung haben wir dann vom ersten bis zum letzten Album des Tracks als Ganzes umgesetzt. Dann ging es in den Mix und ins Mastering. Jetzt ist die LP wie eine Reise von Anfang bis Ende.
Als ich „Adaptation“ gehört habe, dachte ich mir, dass die Platte – wahrscheinlich aufgrund der analogen Aufnahme – sehr fokussiert klingt. Die einzelnen Spuren werden Schicht für Schicht und langsam übereinander gelegt – weniger Sprünge, kaum Effektspielereien.
Martino Bertola: Ja, es ist straight in Sachen Sound. Und aus einem Guss. Das kommt natürlich auch daher, dass wir nicht mal eben in Ableton nachträglich am Sound herumspielen.
Wer von euch hat sich mit Malerei und Bildhauerei beschäftigt und wer mit Architektur?
Martino Bertola: Das war beides Emmanuele. Ich bin nur der Musik-Typ (lacht).
Dann geht die Frage an dich Emmanuele, sorry Martino. Welche Parallelen siehst du in der Bildenden Kunst gegenüber der Musik? Hinsichtlich der Herangehensweise, der Art zu Denken? Hinsichtlich künstlerischer Schöpfung und Sprache?
Emmanuele Nicosia: Jede künstlerische Schöpfung folgt einer Kette von Prozessen, egal ob es um Malerei, Fotografie oder Musik geht. Alles beginnt mit einer Idee, mit Gefühlen und Gedanken, die durch ein Medium in die Realität übersetzt werden. In der Architektur ist es genauso: Du bringst eine Idee zu Papier. Für jemand anderen sind das nur dünne Linien auf einem weißen Blatt. Aber je besser du dich mit Architektur auskennst, desto detaillierter ist das Bild des Gebäudes in deiner Vorstellung. Das Gleiche gilt für Musik: Wer in der Lage ist, Noten zu lesen, kann die Melodie hören, obwohl sie nur auf dem Papier steht. Die größten Musiker waren Schreiberlinge.
Hört ihr auch andere Musik als Techno oder House?
Emmanuele Nicosia: Total viel. Aber wir haben unterschiedliche musikalische Wurzeln. Ich bin ein wenig älter und habe noch mehr das Echo der 80er in mir. Ich höre immer noch viele alte Platten meiner Eltern, aus den 70ern und 80ern. Die haben eine riesige Vinyl-Sammlung. Da sind die Beatles dabei, aber auch Genesis mit Peter Gabriel und Phil Collins. Aus den 80ern sind es vor allem Depeche-Mode-Platten. Depeche Mode sind meine All-Time-Favorites. Ich liebe sie.
Eine sehr typische Antwort für einen Techno-Produzenten.
Emmanuele Nicosia: Aber ich habe die Original-Platten meiner Eltern (lacht)! Mein Vater war auch großer Pink-Floyd-Fan und ich habe die ganzen Platten der ersten Auflage. Die sollten mittlerweile echt was wert sein. In der Kindheit und Jugend hat mich auch Massive Attack geprägt. „Mezzanine“ war meine erste eigene Platte, als ich so 14 oder 15 war.
Martino Bertola: Ich bin da nerdiger. Ich höre vor allem elektronische Musik, viel Ambient, Warp-Sachen. Aphex Twin ist groß.
Emmanuele Nicosia: (Lacht.)
Martino Bertola: Ich wollte das nicht sagen. Aber was soll ich machen, wenn es stimmt. Ich versuche auch diesen Ambient-Einfluss in meine Clubmusik einfließen zu lassen.
Emmanuele Nicosia: Martino hat aber auch mal Bass gespielt und sich auch so experimentelle Bassmucke reingezogen.
Ich habe ja gar keine Ahnung von italienischer Musik. Welche drei Künstler sollte ich mir unbedingt anhören?
Emmanuele Nicosia: Italo-Disco aus den 80ern! Giorgio Moroder.
Martino Bertola: Ach, Giorgio Morroder ist doch kein inspirierender Musiker!
Emmanuele Nicosia: Was? Er hat ja nur die Synthesizer-Musik erfunden (lacht).
Martino Bertola: Ja, aber ich gucke ja aus heutiger Perspektive.
Emmanuele Nicosia: Es gibt gerade nichts, was wirklich über Italien hinaus bekannt ist. Aber in der Underground-Szene gibt es bezogen auf elektronische Musik einen ganzen Haufen talentierter Produzenten. Voices From The Lake zum Beispiel. Die italienische Szene ist sehr diversifiziert und regional unterschiedlich. Im Norden mögen wir eher den melancholischen Techno, während man in Mittelitalien eher Deep- und Techhouse hört. Im Süden stehen sie einfach auf verrückten Kram (lacht).