Drei Alben, drei Tipps, drei Meinungen. In unserer samstäglichen Filter-Kolumne wirft die Redaktion Musik in die Runde, die erwähnenswert ist. Weil sie neu ist, plötzlich wieder relevant, gerade entdeckt oder nie vergessen. Und im Zweifelsfall einfach ein kurzweiliger Zeitvertreib ist.
##Woodkid & Nils Frahm – Ellis
Thaddeus: Ellis, das ist ein Kurzfilm des französischen Künstlers JR. Wer das wirklich ist, wissen nur die wenigsten, er zeigt sich nur ungern in der Öffentlichkeit und gibt seine Identität nicht preis. Dieser Anonymous der Kunstszene, der „französische Banksy“ (nicht meine Erfindung, eh klar), hat für seinen Film in der runtergewirtschafteten Ruine des Krankenhauses auf Ellis Island großformatige Fotografien aufgestellt, die an die Schicksale der hier früher anlandenden Einwanderer erinnern. Er schnappt sich Robert De Niro, lässt ihn einen herzerweichenden Text lesen und bastelt daraus einen Film, ruft Woodkid an, der die Musik komponieren soll, der wiederum Nils Frahm anruft, damit er sie einspielt. Eine ungewöhnliche Platte. Das zweigeteilte Stück „Winter Morning“ beginnt so, wie man Nils Frahm kennt: ein träumerisches Klavier, ein paar Streicher, alles sehr gefällig, latent kitschig, irgendwie austauschbar, gleichzeitig aber auch schlichtweg wunderschön und herzzerreißend. Der zweite Teil ist da schon viel interessanter. Ein Harmonium steuert die alles bestimmenden und verrauschten Drones, die die Basis bilden für den O-Ton von De Niro. Ein bisschen Hall an den richtigen Stellen für die Dramatik und fertig ist der Schauer, der einem über den Rücken huscht. Das ist textlich ein bisschen banal und arg theatralisch vorgetragen, gleichzeitig jedoch natürlich ein kluger Transponder in die Jetztzeit und die Flüchtlingskrise in Europa. Wenn man auf der Flucht ist, sich auf der Suche nach einem besseren Leben befindet, dann sagt man ganz banale Dinge. Ich möchte leben, ich möchte hierbleiben, lassen Sie mich bitte durch. Wie das hier musikalisch umgesetzt ist, ist nicht neu. Es ist tatsächlich eine 1:1 Reproduktion des größten Moments der zweiten Godspeed-Platte: nicht die schlechteste Referenz. Zumal das Skript hier besser, weil geplant ist. Und: verdammt noch mal, trotz aller Theatralik liest De Niro so eindrücklich, dass man ihm für ewig an den Lippen hängen möchte. „Ellis“ bleibt zwiespältig, zieht einen aber auch in den Bann.
##Title Fight – Hyperview
Susann: Irgendwie ist mir das jüngste, mittlerweile ein Jahr alte Album von Title Fight durch die Finger gegangen und so ist es vermutlich wie mit Pokémon Go und dem Zahnarztbesuch: Ich bin zu spät. Über „Hyperview“ kann man sich allerdings noch nachträglich freuen, die Anleihen und Anregungen der Band stammen ja auch mehr aus den 90er Jahren: Im Jahr 2016, irgendwie auch zu spät. Der Sound hat sich jedenfalls verändert, weniger ruppig und kaum noch Wut im Bauch. Kritiker sagen dann immer gern, eine Band sei erwachsen geworden. Eine Aussage, die so ärgerlich ist, weil man sie glatt in jeder Kritik zu irgendeinem dritten Album lesen kann. Schließlich erwartet man doch eher von Verwaltungsfachangestellten, dass sie jahrelang das Gleiche tun, als von MusikerInnen. „Hyperview“ hat nun weniger Punkrock, Hardcore und verzweifelten Gesang (wenn die Stimme im Refrain von „Numb, but I still feel it“ auf dem Vorgängeralbum versagt, kriege ich immer noch etwas Gänsehaut), dafür mehr fuzzy Sounds, Noise, Shoegaze und verträumte, poppigere Melodien. Auch wenn ich beim ersten Hören lieber die Songs mit etwas mehr Tempo wiederhole (wie „Mrahc“ und „Rose of Sharon“), gefällt das gesamte Album – vor allem wegen des guten Songwritings. Und weil es einen guten No-Summer-Graue-Wolken-Soundtrack abgibt.
##Clams Casino – 32 Levels
Benedikt: Michael Volpe aka Clams Casino hat den verwaschenen HipHop-Sound von Rappern wie A$AP Rocky oder Lil B als Produzent in den letzten Jahren maßgeblich mitgeprägt. Da verwundert es wenig, die beiden sich neben Vince Staples auf „32 Levels“ die Ehre am Mikrofon geben. Tatsächlich kommen nur zwei Tracks des Albums überhaupt ohne die Stimme am Mic aus, und das sind auch noch die beiden kürzesten. Macht aber nichts. Gerade Lil Bs dreckiger Flow passt punktgenau auf die sich dahinschleppenden Beats aus Clam Casinos MPC. Aber CC war nie ein reiner HipHop-Produzent. Er wurde mit auch mit dem Genre assoziiert, das man vor ein paar Jahren noch Witch House schimpfte. Und: Er konnte auch immer schon R’n’B und Pop. Genau auf der Hälfte der Platte nimmt dann auch die Wendung seinen Lauf. Ans Mikro tritt Sam Dew – Sänger und einst Schreiberling für Rihanna, Mary J. Blidge und Jessy Ware – und tauscht den HipHop-Flow gegen seinen butterweichen R’n’B-Sound. Mit Mikky Ekko als Featuregast bringt Clams Casino schließlich einen der besten Popsongs des Jahres, nur um ein Feature mit Kelela und ihrer eigenwilligen Interpretation von R’n’B folgen zu lassen. Das CC mit einer ebenso eigenwilligen Interpretation einer R’n’B-Produktion unterlegt. Zu viel Stimme? Nicht so schlimm. Dem regulären Album folgen die Instrumentals. Und die haben es dann noch einmal ganz anders in sich. Man muss das Album also mindestens zwei Mal hören.