Eine Stunde mit 70.000 Euro teuren LautsprechernBang & Olufsen baut Berghain für zu Hause

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Zum 90. Firmenjubiläum hat sich Bang & Olufsen selbst ein Geschenk gemacht: den Beolab 90, einen bizarr aussehenden Lautsprecher für schlappe 35.000 Euro pro Stück. Feinste Technik, von Hand und nur auf Bestellung zusammengebaut. Ein Angebot, das man nicht ausschlagen kann: „Wollen Sie zum Probehören vorbeikommen?“ Klar will ich.

Es ist nicht viel los im Berliner Westen. Und auch im Stilwerk, dem ersten „Design-Einkaufszentrum“, das in Berlin um die Jahrtausendwende eröffnete, flanieren nur wenige Menschen an den Geschäften vorbei, an der Bar im Atrium wird Kaffee und Sekt getrunken: ein ganz normaler früher Nachmittag an der Kantstraße, einer langen Tangente, die sich vom Bahnhof Zoo bis zum Messegelände erstreckt und dabei regelmäßig ihr Gesicht wechselt. Hier, am unteren Ende im Laufweite zur Gedächtniskirche, ist die Welt noch in Ordnung. Im Laden von Bang & Olufsen begrüßt mich ein sehr freundlicher Mitarbeiter des Unternehmens, der, wie ich später erfahren, extra angereist ist, um mir Beolab 90 zu demonstrieren. Das Geschäft? Ganz und gar skandinavisches Understatement, mit dem Unterschied, dass sich alles deutlich hochpreisiger anfühlt als in den blauen Container-Städten des schwedischen Möbelhauses. Das passt: Produkte von Bang & Olufsen muss man sich leisten können. Und wollen. B&O kostet nicht nur viel Geld, sondern hat auch immer ein spezielles Design. Ob diese Mischung noch zeitgemäß ist? Der Mitarbeiter zeigt mit die aktuellen Fernseher des Unternehmens (einen Tag später kommt die Nachricht, dass man die ob der geringen Verkaufszahlen künftig von LG produzieren lassen wird), ein paar kleinere Lautsprecher und Kopfhörer der noch relativ jungen Sub-Marke Beoplay, mit der man sich einer jüngeren Zielgruppe empfehlen will. An diesem Tag ist auch bei Bang & Olufsen wenig los. Um so besser. Können wir laut drehen. Yeah!

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Bang & Olufsen Beolab 90: ausgezogen ...

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... und angezogen, mit Stoff bespannt.

Der Shop hat ein gemütliches Hinterzimmer, eingerichtet mit eleganter Ledercouch, großem Fernseher und einem Beolab-90-Pärchen. Das bedeutet Sound im Wert von 70.000 Euro. Zwei Mal 137 Kilogramm, zwei Mal 125 Zentimeter hoch, zwei Mal 18 speziell für diese Konstruktion entwickelte Lautsprechertreiber, ebenso viele Verstärker, zwei Mal 8.200 Watt, alle nur erdenklichen Schnittstellen und ein Design, das sich nicht recht entscheiden kann, ob es nun klassisch oder edgy sein will und damit perfekt zu Bang & Olufsen passt. B&O kennt sich aus mit den audiophilen Ansprüchen seines Kundenstamms und weiß auch, dass man so eine Entwicklung nicht nur verkaufen kann, sondern bei aller Tradition und Highend die digitalen Lebensumstände (Smartphone, Streaming, WiFi: convenience) nicht ausklammern darf. Natürlich kann der Beolab 90 ins Netz. Muss er sogar, denn in regelmäßigen Abständen soll neue Software neue Features freischalten. Zum Beispiel die „Active Room Compensation“, mit deren Hilfe die Wohnzimmer eingemessen werden können, damit Beolab 90 auch wirklich überzeugend und genau so klingt, wie die Investition klingen soll. Oder auch das präzise Abstrahlen des Schalldrucks auf bestimmte Bereiche des Zimmers, den Sessel zum Beispiel, in dem man besonders gerne liest oder auch den Esstisch. B&O ist dran. Aktuell haben stolze Besitzer jedoch nur die Auswahl zwischen Sweetspot und einem verbreiterten Stereobild. Wer will schon immer genau im Zentrum sitzen. Genau dort nehme ich Platz. Auf der Mittelnaht des Zweisitzers aus Leder. Bring it on!

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Unter dänischer Kiefer sitzt das Aluminiumgehäuse, das allein bereits 65 Kilo wiegt.

Natürlich habe ich vergessen, selber Musik mitzubringen. Kein Problem, ich solle bitte nur glauben, dass die Musik im CD-Player nicht effekthascherisch nachbearbeitet wurde. Tue ich. Press Play.

Was jetzt passiert, ist phänomenal. Wir hören ein bisschen nondescripten Pop, Musik, die so gut produziert wurde, dass man dabei das Songwriting vernachlässigt hat, drehen mal leise, mal laut, mal noch lauter, schalten von Sweetspot auf erweitertes Stereobild um und wieder zurück. Meine Ohren sind schon lange nicht mehr die besten, ich bin auch kein Fan von übertriebener Lautstärke, von Lautheit sowieso nicht. Präsenz, Räumlichkeit und der Druck, der mir hier entgegentönt, habe ich so bislang noch nie wahrgenommen beim Hören von Musik und erinnere mich an ein komisches Schmatzen in den Drums des Songs, den ich auf dem Weg zu dieser Session auf meinem Telefon gehört hatte. Scheiß Komprimierung.

Wir wechseln das Genre und hören ein Stück maximal reduzierten, komplett leer geräumten Jazz, nur Schlagzeug, Bass und Klavier, minimal mikrofoniert und ganz klassisch gemischt in der räumlichen Verteilung. Das jedenfalls würde man denken, wenn man den Track unter normalen Bedingungen hören würde. Über die Beolab 90 wandern die Instrumente kaum merklich durch den Raum, kuscheln sich kurz in Richtung ihrer Kollegen, bevor sie wieder ihre angestammten Plätze einnehmen. Alles wirkt klar, präsent, kein Anzeichen eines Zerrens oder Klirrens, die Höhen tun auch bei maximaler Lautstärke noch nicht in den Ohren weh.

Musik, absolut stressfrei für den Körper. Das kommt selten vor heutzutage.

Da ich die 70.000 Euro gerade eh nicht dabei habe, informiere ich mich lieber über die technischen Hintergründe, versuche es zumindest. Bei Bang & Olufsen werden neue Produkte folgendermaßen entwickelt. Die Ingenieure bauen einen Prototypen mit genau den Abmaßen, die das finale Produkt braucht, um so zu klingen, wie es die Entwicklungsabteilung möchte. Erst dann wird die Designer hinzugezogen. Wenn die das Projekt ohne technische Kompromisse nicht umsetzen können, kommt der Prototyp ins Prototypen-Museum. Ende. Beim Beolab 90 hat es irgendwie geklappt. Auch wenn mir persönlich der „nicht designte“ Prototyp fast besser gefällt (der freundliche Herr zeigt mir ein Foto), aber immerhin lässt sich die Stoffbespannung ja abnehmen und die Mischung aus schmalen Aluminiumrahmen, hellem Holz und nackten Lautsprechern sieht nicht so schlecht aus.

Der opulente Klang wird möglich durch zahlreiche Eigenentwicklungen, aber auch durch clevere Tweaks. So misst die Software im Beloab 90 konstant die Raumtemperatur und regelt so den Schub der Magneten in den Treibern, um einen immer gleichen Sound zu erreichen. Die Verstärker (der Beolab 90 ist ein aktiver Lautsprecher) kommen einerseits von B&O (für die Hoch- und Mitteltöner), die der Tieftöner jedoch von einer anderen dänischen Firma. Deren Kraft, vor allem aber deren rauschfreien Signalweg hätte man selbst so nicht umsetzen können. Auch die Lautsprechertreiber selbst wurden zugekauft. Nur das Beste eben. Kann man ja für 35.000 Euro auch erwarten. Aber wer würde sich ernsthaft nur ein Exemplar des Beolab 90 ins Wohnzimmer stellen? Einer ist keiner, zwei sind mehr als einer.

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Bis zu sechs Exemplare des Lautsprechers kann B&O zur Zeit täglich produzieren. Reine Handarbeit, auch weil viele Zulieferer dankend abwinkten. So ist eine Mitarbeiterin ausschließlich damit beschäftigt die Kabelstränge aufzuziehen und zusammen zu stellen. Es fand sich niemand, bei dem B&O einer offenbar derart komplexe Kabelage hätte bestellen können. Ist der Beolab 90 fertig, kommt er in den Keller und läuft und läuft und läuft. Unter der Aufsicht zahlreicher Mikrofone und sonstiger Technik. Nur, wenn so gesammelten Messergebnisse genau den Vorgaben entsprechen wird er ausgeliefert. Weichen die Resultate ab, wird nachgebessert und erneut gemessen.

Was ich denn als nächstes hören wolle, fragt der freundliche Herr von B&O. Naja, wir hatten ja noch nichts vom Dancefloor, Sie wissen schon, dieses Elektro-Zeug. Haben wir da was?, fragt er einen Kollegen. Na klar haben wir, antwortet der. Kennen Sie Moderat?

Aber sicher doch.

Was jetzt passiert, ist noch phänomenaler als alles andere zuvor. Ein sonisches Erdbeben fegt durch das Zimmer, durch den ganzen Laden, bestimmt auch durch den Rest des Stilwerks. Der Parkettboden vibriert, mein Magen – ich sitze wieder im Sweetspot – tanzt wie wild durch den ganzen Körper. Der Bass drückt, die Mitten stehen kerzengerade, die Höhen singen. Es ist unglaublich laut, viel lauter, als man zu Hause jemals aufdrehen würde, ganz egal, wie groß das eigene Haus ist und wie weit es von dem des Nachbarn entfernt steht. Aber: Trotz dieser Club-Lautstärke geschieht das, was in nur ganz wenigen Clubs genauso geschehen würde. Nichts fühlt sich falsch an, alle Frequenzen sind am richtigen Ort, die Ohren wollen mehr und mehr und mehr. Und kein Oropax. Wie soll man denn so bitte sitzen bleiben?

Alles schön und gut, sage ich, aber was ist denn nun, wenn man sich den Beolab 90 ins Wohnzimmer stellt und dann nur Spotify hört. Oder andere MP3s. Sei das nicht ... naja, also sei das nicht irgendwie schade? Natürlich arbeitet auch im Beolab 90 ein DSP, also ein Chip, der den Signalfluss beeinflusst und dabei hilft, den Klang so aufzubereiten, dass alle Kunden glücklich und zufrieden sind. Wer Musik streamt, der greife doch hoffentlich auf Dienste wie Tidal in der FLAC-Variante zurück, sagt der Herr von B&O, alles andere wäre in der Tat ein bisschen schade.

Beolab 90 ist mit Sicherheit nicht der erste Lautsprecher, der einen so fulminanten und beeindruckenden Klang liefert. Er ist aber einer der ersten, der den modernen Musikkonsum mitdenkt. Das allein ist schon viel wert und macht ihn zukunftssicher. Wer weiß schon, wie lange die CD noch unter uns weilen wird. Vinyl-Freunde brauchen übrigens einen separaten Vorverstärker. Den dürften aber ohnehin schon alle im Einsatz haben, die in dieser Preisklasse unterwegs sind.

Wenn ich jetzt also im Lotto gewinnen würde, wie lange müsste ich denn dann auf ein Pärchen Beolab 90 warten?, frage ich. Aktuell rund zwei Monate ist die Antwort. Geht ja eigentlich, als Privatier hat man ja viel Zeit. „Aber wenn Sie im Lotto gewinnen, wollen Sie natürlich nicht zwei, sondern vier, der Räumlichkeit wegen“, sagt der freundliche Herr von Bang & Olufsen und lacht. Stimmt, daran hatte ich nicht gedacht.

Vielleicht rette ich aber auch einfach die Welt.

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