Review: Withings ActivitéDie aktuell smarteste Smart Watch
19.1.2015 • Technik & Wissen – Text & Fotos: Thaddeus HerrmannNicht LG, nicht Sony, nicht Asus, nicht Motorola und auch noch nicht Apple verkauft im Moment die tollste Smart Watch. Dabei ist die Activité von Withings ungefähr so smart wie das Kalb, dessen Haut für die Herstellung des Armbands verwendet wurde. Withings definiert smart völlig anders und denkt die Smart Watch nicht als Mini-Computer sondern zuerst und vor allem als Uhr. Das wird viele enttäuschen, ist aber genau der richtige Ansatz.
Fangen wir mal mit Steve Jobs an. Immer gut.
Der stellte bei der Vorstellung des ersten iPhones die mehr oder weniger rhetorische Frage: „What's the killer app? The killer app is making calls!“ Und spielte dabei auf die schon 2007 immer komplexere Bedienung von Handys an, bei der die Kernaufgaben mehr und mehr in den Hintergrund traten. Mit einem Smartphone zu telefonieren mag heute nicht mehr zwingend im Fokus stehen, eine solche Rückbesinnung ist bei der noch relativ neuen Produktkategorie Smart Watch aber dringend von Nöten. Denn die Uhren, die bislang auf dem Markt sind - die meisten davon brauchen ein Telefon, um überhaupt irgendwie vermeintlich smart zu sein - kümmern sich einen Dreck um ihre Funktion als Uhr. Stattdessen bombardieren sie Userinnen und User mit Benachrichtigungen zu neuen E-Mails, Tweets, Facebook- und WhatsApp-Nachrichten. Das mögen einige Menschen toll und praktisch finden, eigentlich scheißt da doch aber der Hund drauf. Und ehrlich gesagt: Da waren die Casios mit Taschenrechner früher schon deutlich cooler. Eine Uhr ist nur dann eine Uhr, wenn sie die Zeit anzeigt. Verlässlich und ohne jede Nacht an die Steckdose zu müssen. Denn das ist das zweite Problem all der Smart Watches im Moment. Wer über Nacht nicht den Akku auflädt, muss sich am nächsten Morgen nach einer anderen Informationsquelle zur Uhrzeit umsehen. Denn die Uhr ist sanft eingeschlafen. Withings rollt die Geschichte mit der Activité ganz anders auf.
Withings, das ist ein etwas schwer fassbares Unternehmen, das, naja, sagen wir mal im Gesundheits-Business unterwegs ist. Waagen, Fitness Tracker, Schlafüberwachung, eine Kamera mit Messeinrichtung der Luftqualität. Ein bisschen all over the place, aber egal. Die Activité knüpft genau an diesem Business an und integriert einen Schrittzähler und Bluetooth-Schnittstelle in eine reduziert und klassisch designte Armbanduhr, deren Batterie noch eine echte Uhren-Batterie ist und acht Monate hält. Die Activité ist außerdem wasserdicht, kann also beim Schwimmen umbehalten werden (ein entsprechendes Armband gibt es in der Packung) und, wenn man das denn will, beobachtet und analysiert auch den Schlaf. Dafür muss man sie aber natürlich auch nachts tragen. Sonst kann die Uhr nichts, rein gar nichts. Voll gut.
Mit anderen Worten: Withings entschleunigt unser computerisiertes Handgelenk. Massiv und mit Ansage. Das ist eigentlich nur zu begrüßen. Wie viele Schritte man pro Tag zurückgelegt hat, wird auf einem zweiten, kleinen Zifferblatt angezeigt. Um 0 Uhr springt dieser Zeiger wieder auf Null. Oder aber wenn man pro Tag mehr als 10.000 Schritte getan hat. Dann geht der Pedometer in die zweite Runde. Ohne also sein Smartphone aus der Tasche zu holen und die App zu starten, weiß man immer, wie man sich aktuell so schlägt.
Natürlich hat Withings auch eine App. Die bedient nicht nur die Activité, sondern auch viele andere Produkte des Unternehmens, die Daten sammeln, zum Beispiel die Waagen. Die Idee hinter dem Progrämmchen ist gut, es geht um eine Art persönlichen Gesundheits-Hub, in der die unterschiedlichsten Informationen zusammengefasst werden und so ein mehr oder weniger komplettes Bild der persönlichen Gesundheit ergeben soll. Wie gut das funktioniert, kann ich nicht überprüfen, außer der Uhr habe ich kein Withings-Produkt. In Bezug auf die Armbanduhr ist die App jedoch nicht wirklich brauchbar. Das hat unterschiedliche Gründe. Erstens ist die Synchronisation ausgesprochen unzuverlässig. Anders gesagt: Meistens funktioniert sie gar nicht oder erst nach zig Anläufen und/oder Neustarts der App. Daten per Bluetooth zu übermitteln ist und bleibt schwieriges Terrain, so konstant beta habe ich das jedoch noch nie erlebt. Gerne hätte ich das auf einem anderen Telefon als meinem iPhone ausprobiert, also unter Android oder von mir aus auch Windows: Geht aber nicht. Die App gibt es nur für iOS.
Sind die Daten ein Mal übertragen, wird die Tagesbewegung in hübschen Graphen dargestellt und mit Entfernungsdaten und Informationen über die verbrauchten Kalorien angereichert. Ähnlich also, wie es die 457.000 anderen Gesundheits-Apps auch tun. Dieser Teil funktioniert gut.
Was kann die App noch? Ein Wunschgewicht festlegen und einen Wecker stellen. Dann vibriert die Activité am Handgelenk für 30 Sekunden. Schade nur, dass man diesen Wecker nicht an der Uhr selbst ausstellen kann, sondern morgens vollkommen verpennt sein Telefon suchen, die App öffnen und in der App zwei Mal wischen muss. Bis man das geschafft hat, sind die 30 Sekunden um, so oder so.
Der Punkt ist jedoch: Eigentlich braucht man die App gar nicht. Und genau das ist entscheidend.
Daten im Vergleich
Natürlich ist die Tatsache, dass man seine Schritte auch ohne App immer Blick hat, keine Entschuldigung dafür, dass die App nicht funktioniert. Sowas muss funzen. Und ich persönlich hätte mir auch gewünscht, dass man zumindest das Tagesziel an Schritten selbst definieren kann. Aber wie Withings das Thema Smart Watch angeht, ist dennoch beeindruckend und auch wichtig. Reduktion, Fokus und vor allem Design, etwas, was bei allen Android-Uhren vollkommen verloren gegangen zu sein scheint. Ich hatte seit 20 Jahren keine Uhr mehr am Handgelenk und find's toll, dass das jetzt wieder anders ist, zumindest für die paar Tage, in denen ich die Activité ausprobieren kann.
Wie gut sind nun die gesammelten Daten? Ich habe die Activité parallel mit dem Up24 von Jawbone getragen, den ich seit ziemlich genau einem Jahr im Einsatz habe. Ergebnis: Activité zählt etwas konservativer. Jawbone konstatierte mir jeden Tag rund 1.000 zurückgelegte Schritte mehr. Das ist zwar eigentlich eine ziemliche Diskrepanz, aber gerade noch im Rahmen. Welche Angaben korrekt(er) sind, lässt sich eh nicht überprüfen. Bei der Schlafüberwachung sind beide Produkte jedoch erstaunlich na beieinander, sowohl was die im Bett verbrachte Zeit angeht, als auch die Aufschlüsselung in Leicht- und Tiefschlaf stimmen überein. Ja, ich habe die vergangene Woche mit einer Armbanduhr am Handgelenk geschlafen. Das - ganz ehrlich - werde ich nicht vermissen. Denn auch wenn sich die Activité wirklich bequem tragen lässt: Eine Uhr bleibt eine Uhr. Und die liegt nachts auf dem Tischchen.
Bleibt die Frage nach dem Preis. Der liegt bei 390 Euro und das ist natürlich happig. Schweizer Handwerk hin oder her. Dafür ist die Activité aber auch außerordentlich hübsch (sagt jemand, der eigentlich immer etwas an Designs auszusetzen hat und nie wirklich zufrieden ist) und geht zunächst als tolle UhrUhr durch. Zu bedenken ist aber, dass es einen Fitness-Tracker schon für unter 50 Euro gibt und auch die Smart Watches mit WhatsApp-Hektik preiswerter zu bekommen sind. Es ist eine grundsätzliche Entscheidung. Kann und will ich mir eine Armbanduhr mit Mehrwert leisten? Withings jedenfalls hat demnächst schon eine günstigere Version der Activité am Start. Die heißt Pop, wird in Asien hergestellt und sieht nicht ganz so fancy aus. Hat aber die gleichen Funktionen und kostet nur 150 Euro. Vielleicht ist das ja der erste Schritt in Richtung persönlicher Reduktion.