„Ich besitze exakt einen Synthesizer – und ich hasse ihn“Grooves, Golf und Genre-Ausverkauf: Im Gespräch mit Trevino
2.6.2016 • Sounds – Text: Ji-Hun Kim, Foto: Benedikt BentlerMarcus Kaye ist einer jener Producer/DJs aus Manchester, die sich in mehr als nur einem Genre Renommee verschafft haben. Als Marcus Intalex ist er eine wichtige Nummer im Drum and Bass, betreibt die Labels Soul:r und Revolve:r. Als Trevino produziert er seit Anfang des Jahrzehnts gefragte Tracks in der Schnittmenge zwischen House und Techno. Auch dafür hat er ein eigenes Label gegründet. Birdie nennt sich der Imprint, auf dem nun auch das erste Trevino-Album „Front“ erscheint. Birdie, Trevino, Front? Jemand, der mal Golf gespielt hat, kennt die Begriffe vielleicht. Und ja, Marcus Kaye ist ein leidenschaftlicher Golfer. Das ist uns, trotz vieler Jahre und des Kennenlernens vieler populärer DJs, noch nicht so oft untergekommen. Zeit, da mal nachzuhaken.
Du hattest ein anstrengendes Wochenende hinter dir?
Ja. Drei Gigs an einem Wochenende sind einfach viel. Aber ich finde das Auflegen immer noch spannend und aufregend. Aber klar, gibt es Wochenenden, an denen ich mir vorher denke: Worauf hast du dich da nur eingelassen? Sorgen machen mir meine Ohren. Die sind ein Hauptproblem nach all den Jahren geworden. Ich höre nicht mehr so gut. Das Auflegen mit 44 ist eine komplizierte Angelegenheit.
Wann und wie ging es eigentlich genau mit dem Projekt Trevino los?
House war schon immer Teil meines Lebens. Ich habe angefangen, in Plattenläden zu arbeiten, als es noch gar kein Drum and Bass gab. Es gab Chicago House, es gab Detroit Techno, die ganzen Sachen von Belleville Three (Juan Atkins, Derrick May, Kevin Saunderson), das hat mich beeinflusst. Ich habe bis 1997 in Plattenläden gejobbt und während dieser Zeit Drum and Bass, aber auch House und Techno verkauft. Ich bin mit der Musik also aufgewachsen und kenne sie gut. House hat Anfang der 90er in UK leider eine seltsame Wendung genommen. Viel Uplifting-Zeug, happy Pianos, die Hände in die Luft – das wurde mir zu viel. Drum and Bass und Hardcore haben mich zu der Zeit einfach mehr angesprochen. Diese ganzen kitschigen italienischen Import-Platten, wie ich sie gehasst habe.
Was macht House in deinen Augen so kompliziert?
Es ist nicht schwierig, einen viertaktigen House-Groove zu basteln. Aber ein Track über neun Minuten, der wirklich was zu sagen hat, ist eine große Herausforderung. Ich musste erst lernen, wie das genau funktioniert. Im Studio habe ich immer parallel an House-Tracks gearbeitet. Allerdings nur bis zu einem gewissen Punkt und dann, weil es zu frickelig wurde, mit Drum and Bass weiter gemacht. Ich steckte regelmäßig fest. So ging das über Jahre. Irgendwann fragte ich mich, ob ich mein Leben lang in dem gleichen schnellen Tempo Musik machen will. Die gleichen Beats, die gleichen Breaks – das hat mich wahnsinnig gemacht. Als dann die große Post-Dubstep-Welle losging, erinnerten mich viele Sounds an meine Zeit mit House und Techno. Es war wie eine Zeitreise für mich ins Jahr 1991. Parallel wechselte ich von Logic auf Ableton und ganz ehrlich: Das hat meine Karriere verändert. Seitdem kann ich eine ganz andere Bandbreite von Musik produzieren. Es hat Dinge vereinfacht, es macht mehr Spaß und es half mir, beharrlicher an Ideen dranzubleiben.
Was ist eigentlich aus Drum and Bass geworden?
Die Hochzeit war Ende der 1990er-Jahre. Aber das ganze Business wurde zu sehr von den großen DJs dominiert. Wenn man im Drum and Bass was reißen wollte, brauchte man Tracks, die die Stars im Zirkus spielen. So landete man schnell bei Formelhaftigkeit. Es ging oft um physische Effekte. Es musste knallen. Für Subtiles war da kaum Platz. Heute gibt es zwar viele Ausprägungen von Drum and Bass, aber das Mainstream-Ende davon ist doch – ehrlich – ziemlicher Müll. Es geht nichts vorwärts. Es gibt noch einen Underground, der ist spannend, aber der ist mittlerweile so underground, den sieht man nicht. Am Ende ist das Genre Drum and Bass verflucht. Wer hört heute noch Musik, die das Label trägt?
»Drum and Bass ist in England heute Mainstream-Pop. So was kann doch keine rebellische Musik mehr sein.«
Ein bisschen wie bei Prog Rock.
Durchaus. Anfang der 1990er-Jahre war alles neu und vieles kreativ und aufregend. Heute hat man das Gefühl, dass es alles schon gegeben hat.
House und Techno konnten sich halten.
Wenn du mit jemandem sprichst, der voll im Drum-and-Bass-Thema ist, wird er dir bestimmt sagen, dass immer noch was passiert. Was ich nicht abstreiten will, es ist nur einfach nicht mehr so populär. Zu Beginn war Drum and Bass rebellische Musik. Es war gegen das bestehende System. Das verfickt hohe Tempo alleine schon – 175 Schläge die Minute passen mit rein gar nichts zusammen. Bei House, Techno und Dubstep ist das anders. Da spielen sich die Tempi im ähnlichen Bereich ab. Die Stile kannst du alle miteinander mixen. Aber Drum and Bass passt da nicht rein. Dann kommt hinzu, dass gerade in England Drum and Bass heute Pop ist. Es läuft im Mainstream-Radio, Tracks gelangen in die Top Ten. So was kann doch keine rebellische Musik mehr sein.
Du meinst Kosheen?
Viel neuer. Rudimental, Chase and Status. Wenn man heute anders sein will, wird keiner auf diese Schiene einsteigen. Es läuft auf jedem Volksfest und in jeder Radiochartshow.
Das macht unsere redaktionsinternen Hoffnungen auf ein Revival aber ganz schön zunichte.
Wer weiß? Es gibt viele, die sind noch immer unterwegs. Ob man von einem Revival sprechen soll, weiß ich nicht, aber es gibt einen Markt für Oldschool, keine Frage. Viele wollen sich an alte Tage erinnern und den Sound von damals hören. Heute gehen Eltern auch mal feiern, weil sie das in ihrer Jugend gemacht haben. Da entstehen zur Zeit mehrere Generationen von Clubbern. Aber gerade die wichtigen Leute, Photek, Dillinja, die machen doch alle keine Musik mehr. Die wirklichen großen Talente haben irgendwann einfach aufgehört. Wenn eine Szene solche Künstler verliert, dann ist es schwer, sich zu orientieren und weiterzuentwickeln.
Was macht Photek heute?
Viel Geld mit Soundtracks. Für bekannte Netflix-Serien zum Beispiel.
Na zum Glück, er hätte auch Investmentbanker werden können.
Was er bestimmt auch gut gemacht hätte.
Wann bist du nach Berlin gezogen?
Vergangenen Sommer. Ich habe davor in Manchester gewohnt, aber irgendwann ging es nicht mehr, ein Leben in zwei Städten gleichzeitig zu führen. Meine Freundin und ich haben eine schöne Wohnung in Kreuzberg gefunden. Jetzt sind wir erstmal für ein Jahr hier. Passenderweise konnte ich meine Wohnung in Manchester für ein Jahr vermieten. Dann wird man sehen. Es ging mir dabei gar nicht so sehr um Musik oder die Clubszene.
In Manchester oder London denken aber Leute noch immer, Berlin wäre der Ort schlechthin?
Absolut. Alleine die Mietkosten lassen Berlin nahezu paradiesisch erscheinen. Berlin ist die Club-Hauptstadt der Welt. London war das vielleicht mal. Aber die meisten Clubs verschwinden oder vegetieren vor sich hin. Es ist teuer, einen Club in London zu betreiben. Die ganzen Auflagen und Lizenzen, das macht keiner gerne. London krebst herum, aber auch einfach deshalb, weil es unbezahlbar geworden ist, dort anständig zu leben, wenn man Kunst oder Musik machen will. Ich habe unter denjenigen, die eigentlich Musiker sein wollen, kaum einen kennengelernt, der nicht 40 Stunden die Woche nebenbei arbeitet. Es ist schade, aber die Stadt ist immer mehr durchdrungen von einer Welt der Unternehmen und des Geldes. Es bricht mir das Herz. Vor allem zu sehen, wenn es in einer Stadt wie Berlin ja funktionieren kann.
Wie kommt man zu Golf? Andere spielen Fußball.
Ich habe als Kind schon Golf gespielt. Später als Teenager, als es um Partys und andere Sachen ging, habe ich das nicht weiter verfolgt. Als es dann mit dem Auflegen professionell wurde, hatte ich unter der Woche einfach viel Zeit, die ich sinnvoll nutzen wollte. Golf war da perfekt.
Hattest du beim Golf professionelle Ambitionen?
Nein, so gut bin ich nicht. Golf ist schwer zu erlernen und zu beherrschen. Das Einzige, was ich je erreichen wollte, ist ein Handicap im einstelligen Bereich. Das habe ich vor einigen Jahren geschafft. Was mir neben dem Spielen wichtig ist, sind Golfplätze. Historische Golfplätze, gut designte Plätze, was leider ein richtig teures Hobby ist (lacht).
Golf hat auch nicht das allerbeste Image.
Es ist nicht cool, es ist teuer, elitär, für Reiche. Stimmt ja auch. Aber ich habe für mich keinen besseren Sport entdeckt. Ich verbringe vier bis fünf Stunden draußen in der Natur. Mein Handy ist aus. Es hat nichts mit Musik zu tun. Es ist sehr kompetitiv. Und jedes Mal möchte man besser werden. Es treibt einen an. Du hast einen dauernden Wettbewerb mit dir selbst.
Andere DJs, Producer mit denen du Golfen gehst?
Ein paar Freunde aus Manchester, die auch Drum and Bass machen, sind darunter. Ein anderer war mal Tourmanager von Paul van Dyk. Er lebte in Manchester und hatte einen ähnlichen Wochenrhythmus wie ich. In Berlin spiele mich mit Stefan Betke/Pole. Er mastert meine Musik und mit ihm war ich schon mal in Pankow spielen. Stefan ist aber auch meine einzige Golf-Connection in der Stadt.
Eine Subkultur in der Subkultur quasi. Was sind die schönsten Plätze, die du bislang bespielt hast?
Die Liste ist unendlich. Aber St. Andrews in Schottland ist wunderschön. In Irland gibt es tolle Plätze wie Lahinch. Alles alte Plätze, die teils auf Sanddünen liegen und die Natur quasi die Form der Plätze vorgeben lässt. Das ist natürlich und dadurch viel interessanter als bei modernen Anlagen, wo erstmal ein Bulldozer kommt und alles platt macht. Die Vorfreude am Abend, wenn ich weiß, ich werde so einen Platz spielen, ist unbeschreiblich. Manchmal kann ich vor Aufregung nicht schlafen. Es gibt nichts, was mich so aus der Fassung bringt. Kein Parcours ist wie der andere, jedes Mal sind die Witterungsverhältnisse anders. Ein Spiel ist nie zweimal das Gleiche. Der Wind, deine eigene Verfassung …
»Damals waren Sportler Alkoholiker, Haudegen, Cowboys. Echte Rebellen.«
Gibt es denn aber Ähnlichkeiten zur Musik?
Eh … Ich würde gar nicht auf die Idee kommen, beides miteinander zu vergleichen.
Aber dein Album hat Golf zum Thema, dein Label …
Ich bin in einem Alter, wo ich mich nicht mehr darum kümmere, was Leute denken und ob was angesagt ist oder nicht. Da kann man auch mal so eine Leidenschaft ausweiden. Wieso auch nicht? Mir hilft das Thema Golf, die Musik interessant und spannend zu halten. So kommt man auf Schnapsideen, wie ein Label zu machen, das nach 18 Releases dicht macht.
Du hast dich nach dem amerikanischen Golfer Lee Trevino benannt. Was macht ihn zum größten Spieler aller Zeiten?
In den späten 1970er-Jahren gab es eine TV-Show in der BBC, in der Prominente mit Profis gegeneinander Golf gespielt haben. Einer von den Profis war Lee Trevino. Der hat nicht nur so gut wie jedes Mal gewonnen, er hat auch super Witze gemacht, hat viel gelacht. Er war anders. Heute sind Sportler alle trainierte Medienwesen. Die sagen immer das, was die Medien hören wollen. Trevino war einfach er selbst. Ein Scherzkeks. Er kam aus ärmlichen Verhältnissen und hat es durch sein Talent geschafft, nach oben zu kommen.
Wurde er nicht sogar vom Blitz getroffen?
Zweimal sogar! Ein toller Typ. Vor allem auch mit seiner unorthodoxen Technik, die eigentlich alles verband, was man bei einem perfekten Swing nicht machen sollte. Er ist seinen eigenen Weg gegangen.
Man hatte bei Sport früher noch das Gefühl, dass es echte Charaktere gab. Ob beim Tennis, Fußball …
Rebellen! Heute ist das so langweilig geworden. Damals waren Sportler Alkoholiker, Haudegen, Cowboys. Heute besteht Sport zu 90 Prozent aus Medien und es geht die ganze Zeit ums Verkaufen.
Lass uns über dein Albumkonzept sprechen. Wie beim Golfen handelt es sich mit Front und Back um zwei Teile. Es gibt je neun Tracks, die zusammen 18 ergeben, wie bei einer Golfpartie.
Das ist gar kein richtiges Konzept. Eher eine dumme Idee. Es hat einfach so gut gepasst. Zweimal neun: Front und Back. Aber ehrlich, es wurde zum Albtraum. Die Idee von neun Tracks pro Album hat mich bereits überfordert. Ich hätte ja viel lieber zwölf gewählt. Etwas, das mir mehr Raum gegeben hätte, zu zeigen, was in meinem Repertoire ist. Ich hatte fast 70 Tracks zur Auswahl. 30 waren fertig, der Rest halbfertige Ideen und Skizzen. Einige waren elektronischer, experimenteller, andere eher für den Dancefloor. Als ich feststellte, dass es viele Tracks nicht aufs Album schaffen, bin ich fast durchgedreht. Aber ich hatte mich nunmal für zweimal neun entschieden, also musste ich da durch. Die nächste Hürde wird der Nachfolger „Back“. Ursprünglich wollte ich aus dem großen Fundus beide Langspieler bestücken. Jetzt habe ich mir vorgenommen, die neun nächsten Nummern komplett neu zu machen. Vielleicht scheitere ich total. Aber das ist die Challenge, der ich mich jetzt stelle.
Du hast also für den zweiten Teil keinen Plan?
Nein. Das Einzige, was ich vermeiden will ist, dass die neuen Tracks durch das Feedback auf das erste Album beeinflusst werden.
Gibt es Pläne, damit live aufzutreten?
Ich weiß nicht, wie ich das machen soll. Ich mache all meine Musik auf meinem Laptop. Sich damit auf die Bühne zu stellen, fände ich ganz schön langweilig. Ich tue mich mit Hardware schwer. Letztes Jahr habe ich mir einen Synthesizer gekauft und ich hasse ihn. Es handelt sich um den Analog Keys von Elektron. Eine Maschine, die dich ruiniert. Sie macht nie, was du willst. Jedes Mal kommt was anderes raus. Ich hätte nie auf meine Freunde hören sollen, die meinten: Kauf dir das Ding. Das ist super. Der Sound ist prima, aber ich hasse das Gerät zutiefst. Es produziert nur Zufälle und darüberhinaus ich bin zu blöd, darauf Klänge zu speichern. Der Synthesizier vereint alle Dinge, die ich genau so nicht will.